Die große Sozialdemokratin und Frauenministerin Johanna Dohnal hat schon 1991 formuliert: “Ich bin schon dafür, dass wir Binnenmärkte, Freihandelszonen und Wirtschaftsräume diskutieren und mitbestimmen, aber ich bin auch dafür zu fragen: Wem bringt es was? Wer zahlt dafür? Wie werden die Menschen in einem zukünftigen Europa leben können, wie werden sie arbeiten, wie werden sie sich organisieren können und welche Lebensqualität werden sie haben?“
Und das ist noch immer die zentrale Frage. Ein Blick zurück zeigt nämlich, dass die breite Zustimmung zur Demokratie in dem Ausmaß wuchs, wie Wohlfahrtsstaat und soziale Sicherungssysteme durchgesetzt werden konnten. Soziale Rechte sind untrennbar mit modernen Demokratien verbunden. Antidemokratische Entwicklungen wuchern heute vor allem dort, wo die Systeme sozialer Gerechtigkeit massiv abgebaut werden und Macht, Geld und Einfluss in den Händen weniger konzentriert sind. Wenn viele Menschen sich als ohnmächtige Verlierer an den Rand gedrängt sehen, finden extremistische Haltungen rasch politische Unterstützung. Wird der Sozialstaat torpediert, ist auch die Demokratie in Gefahr.
Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die bei den EU-Gipfeln der letzten Jahre vereinbart wurden (‘Six Pack‘, ‘Fiskalpakt, ‘Two Pack’), zielen ausschließlich auf einseitige Defizit- und Verschuldungsabbaumechanismen für öffentliche Haushalte, die diese zu permantem Sparen und Abbau des öffentlichen Sektors zwingen. Wesentliche und sensible budgetpolitische Entscheidungen werden im Zuge dieses Regelwerks von Parlamenten weg und hin zu demokratisch nicht legitimierten Entscheidungsträgern innerhalb der Finanzbürokratie der Europäischen Kommission übertragen. In dieser Logik können dann auch die sozialen Folgen der verordneten Lohn-, Renten- und Sozialkürzungspolitik, der ‚ewigen Austeritätspolitik’ (© Angela Merkel) ausgeblendet bleiben. Die Kommission wird bestellt – nicht gewählt.
Die wirtschafts-, sozial- und demokratiepolitischen Konsequenzen dieser Einzementierung neoliberaler Politikkonzepte auf europäischer Ebene sind – wahrscheinlich beabsichtigt – weitreichend. Die gegenwärtige europäische Wirtschafts- und Krisenpolitik ist übrigens auch ‘Geschlechterpolitik mit versteckten Karten’ (Elisabeth Klatzer und Christa Schlager). Sie schraubt nämlich die Eigenständigkeit und Teilhabemöglichkeiten von Frauen zurück, weil sie den umverteilenden Wohlfahrtsstaat zurückdrängt zugunsten von Lohndruck und Privatisierung sozialer Leistungen.
Der Fiskalpakt ist insgesamt die falsche Antwort auf die Krise, in der sich Europa befindet. Er verschlechtert die Lebenssituation der meisten Menschen in Europa durch die drastische Sparpolitik, die er erfordert, ohne dass sich die Verschuldungssituation der öffentlichen Haushalte verbessert. Im Gegenteil: Indem der öffentliche Sparzwang die Rezession in den Krisenstaaten vertieft, verschlechtert sich die Kassenlage der Staaten noch erheblich, so dass ein Teufelskreis aus Sparen, Wirtschaftseinbruch, weiter steigenden öffentlichen Schulden und Zinssätzen entsteht. Der Fiskalpakt schreibt diesen Teufelskreis fest: Indem er der Wirtschaftspolitik prozyklisches Vorgehen abverlangt, zwingt er den öffentlichen Sektor zum Sparen, Entschulden und Unterbieten.
Es geht um die richtigen Antworten auf die Krise, die bei den wahren Ursachen ansetzen. Im Fiskalpakt stehen die öffentlichen Schulden im Mittelpunkt der Therapiemaßnahmen. Deren Anstieg war im wesentlichen Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008, nicht aber die Ursache der seit Anfang 2010 ausgebrochenen Eurokrise.
Soll die Krise in Europa dauerhaft beendet werden, muss die Hauptursache der Krise 2008, die Deregulierung der Finanzmärkte, und die Hauptursache der Eurokrise, das Auseinanderdriften der Wettbewerbsfähigkeit der EWU-Mitgliedsländer, abgestellt werden. Die Deregulierung der Finanzmärkte in der Vergangenheit hat ganze Staaten zum Spielball von Spekulationsgeschäften gemacht. Das Auseinanderdriften der Wettbewerbsfähigkeit führte zu untragbar hoher Auslandsverschuldung der Krisenstaaten in der EWU und spiegelbildlich zu untragbar hohen Auslandsvermögenspositionen der Gläubigerstaaten, allen voran Deutschlands. Auf diese strukturellen Probleme müssen wir reagieren und als Alternative zum Fiskalpakt für einen Europakt mit Wachstumsoffensive werben, der folgende Punkte umfassen soll:
- Koordination der nationalen Lohnpolitik auf europäischer Ebene zum Abbau der Wettbewerbsdivergenz und damit Abbau der makroökonomischen Ungleichgewichte im Rahmen eines sozialpartnerschaftlichen makroökonomischen Dialogs
- Beendigung der kontraproduktiven öffentlichen Sparpolitik (Krisenländer nicht länger zum Kaputtsparen zwingen), stattdessen soll die Konsolidierung der dortigen öffentlichen Haushalte erst nach Ende der Rezession in Angriff genommen werden und gleichzeitig Start einer europaweiten zukunftsorientierten Wachstumsoffensive (Gläubigerländer verstärken öffentliche Investitionen im Bereich Bildung, Infrastruktur und erneuerbare Energien, in Schuldnerländern wird die Europäische Investitionsbank auf diesen Feldern verstärkt aktiv)
- Einrichtung von Eurobonds bis zur Wiederherstellung einer ausgeglichenen Wettbewerbsfähigkeit zwischen den EWU-Ländern und kurzfristig Schutz der Schuldnerstaaten vor dem Schulden-Zinssatz-Teufelskreis durch die EZB (Sekundärmarktkäufe von Staatsanleihen)
- Maßnahmen aus dem europäischen Sozialfonds zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit
- Finanzmarktregulierung und Einführung einer Finanztransaktionssteuer zur Wiederherstellung der dienenden Funktion der Finanzwirtschaft gegenüber der Realwirtschaft (z.B. durch Einführung einer Mindesthaltedauer für Finanzinvestitionen von z.B. einem Vierteljahr und Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken), Schließung von Steueroasen
- Beendigung des “Wettbewerbs der Nationen” innerhalb der EWU durch Harmonisierung der Steuergesetzgebung (Steuern auf Unternehmensgewinne, Vermögenssteuern, …)
Wir müssen das Auseinanderbrechen der Währungsunion verhindern. Ich engagiere mich und trete ein für eine solidarische, aber vor allem auch wirtschaftlich vernünftige Krisenpolitik und damit auch für die Sicherung von Wohlstand, Demokratie und Frieden in Europa. Ich bin daher gegen die Ratifizierung des vorliegenden Fiskalpakts im österreichischen Nationalrat.