Sonja Ablinger

Es gibt viele Ursachen für Gewalt, aber keine Rechtfertigung dafür.

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Am 25. November starten die 16 Tage gegen Gewalt an Frauen. Diese Tage sind eine internationale Kampagne. Österreich nimmt seit 1992 an der Kampagne teil. Das ist wichtig.

Nach wie vor wird Gewalt gegen Frauen verharmlost und verschwiegen oder sie wird relativiert. Dabei sind die Formen männlicher häuslicher Gewalt unvorstellbar. Die Übergriffe reichen von Ohrfeigen oder Schlägen mit Händen und Fäusten bis hin zum Zufügen von Verbrennungen. Die Frauen werden mit Gegenständen wie Sesseln, Vorhangstangen und Gürteln geschlagen. Sie werden mit Füßen getreten, an den Haaren gerissen, gewürgt oder auf den Boden geworfen. Männliche Gewalt beschränkt sich aber nicht auf Verletzungen der physischen Integrität, sondern es geht auch um massive Einschränkungen der autonomen Lebensführung und um sexualisierte Gewalt. Einige Beispiele aus der Beratung des Gewaltschutzzentrums verdeutlichen das:

Er kontrolliert ihre Sozialkontakte. Er kontrolliert ihre Telefonate. Er schreibt ihr vor, wann und ob sie ausgehen kann. Er lauert ihr auf, er sperrt sie ein. Er verbietet ihr, den Führerschein zu machen. Er verbietet ihr das Essen; er zwingt sie zum Essen. Er hindert sie am Schlafengehen; er zwingt sie, auf dem Boden zu schlafen. Er zwingt sie zum Ansehen von Pornografie. Er beschimpft sie als Hure. Er zwingt sie zu Sexualität. Er zwingt sie zu Sexualität, nachdem er sie geschlagen hat.

Die Liste ließe sich fortsetzen. Und: Die Spirale der Gewalt beginnt immer wieder von vorne. Er bereut, schwört Besserung, schwört Liebe und dass er ohne sie nicht leben könne. Sie bleibt, verzeiht, glaubt ihm, sucht die Schuld bei sich selbst – bis zum nächsten Mal. Dabei werden die Abstände immer kürzer und die Gewaltakte immer brutaler, lebensbedrohlicher. Frauenhäuser und Gewaltschutzzentren sind dann oft der letzte Rettungsanker für Frauen. Sie finden dort Hilfe, um aus dieser Gewaltbeziehung endlich aussteigen zu können.

Das Gewaltschutzgesetz wurde in Österreich 1996 im Parlament beschlossen und war weltweit ein Vorzeigemodell. Es war nicht nur in seinen rechtlichen Möglichkeiten ein großer Fortschritt – es setzte auch ein klares Signal, in dem der Täter aus der Wohnung gewiesen wird und ihm Kontaktaufnahme wie die Rückkehr untersagt wird. Es muss nicht erst ‚Blut geflossen’ sein, damit die Exekutive eingreifen kann. Der Täter wird weggewiesen und das Gewaltschutzzentrum wird informiert.

Die Gewaltschutzzentren wurden eingerichtet mit dem Fokus der ‚aufsuchenden Sozialarbeit’. Wird die Polizei gerufen, ein Täter weggewiesen, erhalten Gewaltschutzzentren entsprechende Informationen. Die Mitarbeiterinnen der Gewaltschutzzentren treten in Kontakt mit der Frau und entwickeln gemeinsam einen Hilfeplan: sie unterstützen und begleiten sie und gegebenenfalls ihre Kinder bei ihrem Aus-Weg aus der Gewaltbeziehung.

Frauen, die das Gewaltschutzzentrum kontaktieren, erzählen in der Mehrzahl der Fälle von schon länger andauernder Gewalt in der Beziehung. Selten kommen sie nach dem ersten Vorfall. In den letzen Jahren sind die Gewaltschutzzentren damit konfrontiert, dass die Täter in neuen Beziehungen als Wiederholungstäter auftauchen. Das macht deutlich, wie dringend Täterarbeit nötig ist.

Dass Frauen nicht beim ersten Gewaltvorfall kommen, hängt wohl auch damit zusammen, dass Gewalt einer Spirale gleicht, die sich langsam zu drehen beginnt. Es beginnt mit Beleidigungen, lächerlich machen, Respektlosigkeit, Erniedrigungen und Herabwürdigungen. Dann folgen Einschüchterungen, Drohungen, Schläge, immer wieder kehrende schwere Körperverletzungen. Für Frauen sind die Folgen dieser männlichen Gewalt enorm. Es geht  dabei nicht nur um Verletzung der körperlichen Integrität durch Prellungen, Knochenbrüche und Kopfverletzungen, sondern auch darum, dass die Frauen ihre Selbstachtung verlieren. Gemeint sind Schlaf- und Essstörungen, Depressionen, Angststörungen, Alkohol- und/oder Medikamentensucht und die vollständige Isolierung. Diese Frauen sind traumatisiert. Sie verdrängen, sie schweigen, sie zerbrechen – und sie versuchen, zu überleben, über Monate, über Jahre, über Jahrzehnte. Manchen gelingt das nicht.

Viele Menschen verstehen – durchaus nachvollziehbar – nicht, warum Frauen nicht eher gehen oder warum sie zum Täter zurückkehren und ihn nicht ein für allemal verlassen, ihn sogar auch noch verteidigen. So schwierig es zu glauben ist: Frauen gewöhnen sich an Gewalt eben auch, weil Gewalt traumatisiert. Frauen verlieren ihr Selbstwertgefühl und fühlen sich hilflos, ohnmächtig und hoffnungslos. Gewalt, Angst und jahrelange Demütigungen schränken in der autonomen Handlungsfähigkeit ein. Frauen suchen in diesen Angst- und Gewaltbeziehungen zu überleben, sie lernen auszublenden und so das Unfassbare zu ertragen, weil der Ausweg verstellt ist.

Den Schritt nach außen zu tun, ist kein einfacher, kein leichter, nicht für jemand, der so lange in Angstverhältnissen lebte. Der Schritt nach außen braucht die – ständig bedrängte –  Erkenntnis und Sicherheit, dass sie  – als Opfer – gar nichts dafür kann, was ihr angetan wird, dass nicht sie ‚ihn dazu treibt’ – wie Gewalttäter ja oft formulieren: ‚Du willst es ja nicht anders. Du treibst mich in den Wahnsinn.’ Diese hämmernde Methode der Schuldübertragung bleibt nicht ohne Spuren. Wenn Frauen dann auch noch befürchten müssen, dass ihnen nicht geglaubt wird oder sie als schlechte Ehefrauen angesehen werden, entscheiden sie sich zu oft, gegen die Kontaktaufnahme mit der örtlichen Polizei und damit gegen Schutz vor Gewalt.

Nicht ohne Wirkung bleibt – wie im Sommer 2012 geschehen  – wenn eine FPÖ-Stadträtin davon redet, dass Frauenhäuser und damit Schutzzentren für Frauen nachhaltig die Ehe zerstören und sie damit Frauen, die aus einer Gewaltbeziehung fliehen, schuld gibt. Das zeigt das von unerträglicher Verantwortungslosigkeit und ist gefährlich.

Ja, es stimmt, nicht alle Frauen sind von Gewalt betroffen, nicht alle Männer sind Täter. Aber das nimmt uns dennoch nicht die Verantwortung. Die Tatsache massenhafter Gewalt gegen Frauen hat Auswirkungen auf alle Männer und alle Frauen und der Grad der Menschenwürde in unserer Gesellschaft wird daran sichtbar. Das Verhältnis der Geschlechter zueinander ist nicht privat. Es ist geprägt von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.

Männergewalt über Frauen – 97% der Täter sind männlich und 92% der Opfer sind weiblich – basiert auf:

•         gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen, zum Beispiel wie eine richtige Frau, eine gute Mutter zu sein hat.

•         auf öffentlichen Herabwürdigungen, wenn Frauen zum Beispiel nicht in das übliche Rollenbild passen, werden sie lächerlich gemacht, als Monster, als Mannweib dargestellt, gleichsam als Abschreckung für andere Frauen dingfest gemacht.

•         ökonomischer Abhängigkeit und auf eklatanten Einkommensunterschieden zwischen Frauen und Männern.

•         auf ungleichen Rechten und fehlender Chancengleichheit.

Die ungleiche Machtverteilung zwischen den Geschlechtern in allen Bereichen, das Festhalten an Klischees von Männlichkeit und Stärke und nicht zuletzt die Toleranz Teile der Öffentlichkeit, dass das was zwischen den vier Wänden passiert, privat sei und eben die Angelegenheit von diesem Mann und dieser Frau sei, all das begünstigt sexuelle und alle anderen Formen von Gewalt gegen Frauen.

Es gibt viele Ursachen für Gewalt aber keine Rechtfertigung dafür – nicht jene der Kultur, der Tradition und auch nicht, dass Frauen bleiben, sich nicht trennen, nicht ‚Nein’ gesagt haben, weil dann seien sie ja selber schuld, wenn sie nicht gehen:

 

Selber Schuld!

Als der Bankräuber aussagte,

die Bank habe ihn durch ihr Geld

zum Bankraub gereizt,

wurde seine Strafe selbstverständlich

von den beantragten sechs

 auf vier Jahre vermindert.

Als er dann noch behauptete,

die Bankangestellten hätten

sich nicht gewehrt,

setzte man seine Strafe von

vier auf zwei Jahre herab

(er konnte schließlich

das stillschweigende Einverständnis

der Angestellten voraussetzen).

Schließlich gab er noch an,

er habe vor der Tat,

früher, mehrmals mit der Bank verkehrt.

Da sprachen ihn die Richter frei.

Warum sollten sie hier auch anders verfahren

als bei Vergewaltigungen?

(aus einer Broschüre des Kasseler Notrufes)

 

Warum sollten sie? Vielleicht weil eine wachsende Mehrheit sich gegen die Verharmlosung von männlicher Beziehungsgewalt stellt? Das jedenfalls wäre zu hoffen und es ist auch der notwendige und gerechte Anspruch einer Gesellschaft, die sich glaubhaft für universelle Menschenrechte einsetzt. Darum sind die 16 Tage gegen Gewalt gegen Frauen eine so wichtige Kampagne, weil sie Öffentlichkeit herstellen. Öffentlichkeit schafft Bewusstsein dafür, dass es für Gewalt viele Ursachen gibt, aber niemals eine Rechtfertigung. Gewalt darf uns nicht stumm machen.  Um es mit dem Aufruf der Europarats-Kampagne gegen häusliche Gewalt zu verdeutlichen: „Es beginnt mit Schreien  – es  darf nie mit Schweigen enden!“

 

 

 

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