Sonja Ablinger

Das vermeintlich Unmögliche wagen…

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Die Redaktion der Zukunft lud mich im Sommer des Vorjahres ein, in einem Beitrag zu erläutern, warum ich gegen den Fiskalpakt gestimmt hatte. Einer meiner Beweggründe waren die vielen kritischen Analysen bedeutsamer ÖkonomInnen, die diese europäische Schuldenbremse als völlig falsche Antwort auf die Eurokrise nachvollziehbar darlegten – sie sollten sich bestätigen.

Im März 2012 analysierte das Makro-Konsortium IMK–OFCE–WIFO in seiner gemeinsamen Diagnose, dass eine

synchrone Sparpolitik entsprechend dem EU-Fiskalpakt die Kluft innerhalb des Euroraums zwischen den Mitgliedsländern in Südeuropa und Deutschland sowie den übrigen Euroländern in Mittel- und Nordeuropa vertiefen

wird. (Hier als pdf)

Stephan Schulmeister wies kurz nach Beschlussfassung im österreichischen Parlament, den Fiskalpakt als ‚eine Totgeburt’ aus. In einem Interview mit dem Standard erklärte er zu dessen Regelwerk:

‚Der Fiskalpakt ist eine Totgeburt. Die EU-Staaten werden sich bemühen, aber die gesteckten Ziele nie erreichen. Irgendwann wird sich kein Hund mehr daran halten. Aber bis zur Ausstellung des Totenscheins wird es noch Millionen zusätzliche Arbeitslose geben.’

Tatsächlich stieg innerhalb nur eines Jahres die Zahl der erwerbslosen Menschen in der Europäischen Union um fast zwei Millionen – von ohnehin schon 24,7 Millionen im Vorjahr, auf die Rekordhöhe von 26,5 Millionen im März dieses Jahres. In den südlichen Ländern sind mittlerweile junge Menschen mit Beschäftigung eine Minderheit. Über 120 Millionen Bürger und Bürgerinnen in der Union sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht – mehr als je zuvor.

Das ist fürwahr eine in Zahlen gegossene gescheiterte Krisenpolitik der ‚Economic Governance’ (Lesenswert dazu auch Elisabeth Klatzer und Christa Schlager). Jenseits dieser Zahlen ist das damit verbundene menschliche Elend noch schwerer zu fassen: In Athen prügeln sich Menschen bei Essensausgaben, um ihre Familien ernähren zu können. In Spanien kommt es trotz leerstehender Wohnungen zu massenhaften Zwangsräumungen. Heizen wurde für viele Menschen in Griechenland im letzten Winter unerschwinglich. Hunderttausende sind auf Suppenküchen angewiesen. Bedrückend formuliert es Konstantin Wecker in einem Lied:

Die Menschenwürde, hieß es, wäre unantastbar, jetzt steht sie unter Finanzierungsvorbehalt.’

Die Bilder aus dem Süden, die Statistiken der Arbeitsämter und die Berichte zur sozialen Lage der EU sprechen eine klare Sprache: die bisher gesetzten und verordneten  Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise wirken gänzlich kontraproduktiv – sie machen die Wirtschaftskrise zur sozialen Krise. Europa braucht einen fundamentalen wirtschaftspolitischen Kurswechsel.

Die Agenda der Europäischen Union ist allerdings auf das Gegenteil ausgerichtet. Im November wurde zur Verschärfung der Krisenpolitik das Konzept für eine vertiefte und echte Wirtschafts- und Währungsunion vorgelegt, in dem ein neues Instrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit eingeführt werden soll. Alle Mitgliedsstaaten werden demnach zu Strukturreformen verpflichtet werden.

Was unter verpflichtenden Reformen zu verstehen ist, hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede beim Jahrestreffen des World Economic Forum in Davos im Jänner verdeutlicht:

Ich stelle mir das so vor – und darüber sprechen wir jetzt in der Europäischen Union –, dass wir analog zum Fiskalpakt einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit beschließen, in dem die Nationalstaaten Abkommen und Verträge mit der EU-Kommission schließen, in denen sie sich jeweils verpflichten, Elemente der Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, die in diesen Ländern noch nicht dem notwendigen Stand der Wettbewerbsfähigkeit entsprechen. Dabei wird es oft um Dinge wie Lohnzusatzkosten, Lohnstückkosten, Forschungsausgaben, Infrastrukturen und Effizienz der Verwaltungen gehen – also um Dinge, die in nationaler Hoheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union liegen.’

Mit anderen Worten: die Maßnahmen der Troika, die den südeuropäischen Staaten als Bedingungen für Zahlungen aus den Rettungsschirm auferlegt wurden, sollen auf alle Mitgliedsstaaten ausgedehnt werden. Die Kommission sieht in dem Konzept für die Vertiefung die ‚Implementierung von Strukturreformen in Mitgliedstaaten durch vertragliche Vereinbarungen’ (Konzept Seite 24) vor. Diese Verträge sind mit Zahlungen verbunden, um die ‚zügige Verabschiedung dieser Reformen’ und die ‚Überwindung politischer Hindernisse’ (Seite 25) zu fördern – und wohl auch, um den Druck auf die Parlamente zu erhöhen. Die Blaupause der echten und vertieften Union ist – das lässt sich daraus ablesen –  die Kopie der Troika für alle und immer.

Gegen diese Vertiefung der neoliberalen Krisenpolitik hat sich nun ein breites Bündnis gegründet. (siehe auch Beitrag vom 20.Mai) Die Initiative ‚Europa geht anders’ wurde Mitte Mai gestartet. Mehr als 150 ErstunterzeichnerInnen (darunter viele SozialdemokraInnen, Linke, Grüne, WissenschafterInnen, GewerkschafterInnen, AutorInnen, kirchlich Engagierte, MenschenrechtlerInnen) aus Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien rufen auf, die Austeritätspolitik zu beenden. Sie fordern einen dringend notwendigen Kurswechsel in der Europa-Politik. Ich bin eine der Initiatorinnen. Ich bin gemeinsam mit vielen tausenden UnterstützerInnen überzeugt, dass wir die drohende Reise in ein Europa der 1930er Jahre verhindern können. Europa braucht eine Kehrtwende. Ein klares Nein zum Pakt für Wettbewerbsfähigkeit ist Voraussetzung dafür.

Die Sozialdemokratie muss und kann bei einer Neuausrichtung der Politik gegen die Krise eine wesentliche Rolle spielen – auch wenn manche wohl nicht unberechtigt Zweifel hegen, denn:

Die alte Kraft ist nicht mehr da, und die Überzeugung fehlt, dass es realistisch und lohnend ist, das vermeintlich Unmögliche zu wagen. Die Kluft zwischen privaten Superreichtum und öffentlicher Armut ist himmelschreiend. Aber die SPD schafft es nicht mehr zu schreien.’

So schreibt Heribert Prantl [1] zum heurigen 150jährigen Gründungsjubiläum der SPD. Da liegt wohl etwas Wahres drin. Dennoch, beweisen wir das Gegenteil – wagen wir das ‚Unmögliche’: eine gerechte Gesellschaft, ein neubegründeten Europas, in dem BürgerInnenrechte ausgebaut werden und das Wohlergehen aller im Zentrum steht. Schließen wir einen Pakt gegen Arbeitslosigkeit, nicht für ein Wettbewerbsregime, vertiefen wir die Solidarität und nicht die Konkurrenzordnung. Ein demokratisches, soziales und ökologisches Europa der Vielen ist lohnend – und deswegen realistisch.

(Dieser Beitrag ist in der Zukunft 5/2013 erschienen.)



[1] Herbert Prantl, Genosse Sisyphos, Süddeutsche Zeitung vom 18. Mai 2013

 

 

 

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