Sonja Ablinger

Unlesbare sozialdemokratische Handschrift

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Wohlstand erhalten, sozialen Ausgleich sichern, in Wachstum investieren und stabile Finanzen“ – kündigt  die SPÖ nach Regierungsbildung im Dezember 2013 für die nächsten fünf Jahre an. Diesen Vorhaben stehen allerdings ziemliche Hürden im Weg. Die Zukunft hat mich um einen Beitrag zur Einschätzung des Koalitionspapiers der großen Koalition gebeten.

Neu regieren, nicht kuscheln, aber konstruktiv zusammenarbeiten, das ist das Motto, das sich die neue große Koalition aus SPÖ und ÖVP für die nächsten fünf Jahre bis 2018 gegeben hat. Aber schon der Start dieser Bundesregierung verlief suboptimal. Die Eingliederung der Wissenschaftsagenden in das Wirtschaftsministerium rief großen Unmut hervor. Die Zusammenlegung des Frauenministeriums mit dem großen Bildungsressort, bei gleichzeitiger Installation eines eigenen Familienministeriums, löste nicht nur bei der Autorin große Irritation aus. Zentrale SPÖ-Wahlkampfthemen wie Gesamtschule und Vermögenssteuer fanden keinen Widerhall im Regierungsabkommen. Auch das hat dazu beigetragen, dass die Angelobung der neuen Bundesregierung innerparteilich mit wenig Aufbruchstimmung verknüpft war. Aber vielleicht sind die Erwartungen ohnehin zu hoch und große Würfe müsse es, so Minister Ostermayer in einem Interview, ohnehin nicht geben. Ist daher alles nur ‚Jammern auf hohem Niveau’, wie die Journalistin Barbara Coudenhove-Kalergi schrieb?

‚Sparsam wirtschaften, in Beschäftigung, Kinderbetreuung, Bildung investieren’, mit dieser Überschrift präsentierte der Bundeskanzler das Programm der nächsten fünf Jahre. Darin sind einige wichtige Vorhaben fixiert und die Beteiligten haben sich ohne Zweifel engagiert, um ein für die Sozialdemokratie herzeigbares Ergebnis vorzulegen. Es sei ein Papier mit klar sozialdemokratischer  Handschrift, heißt es. Nach dem Studium des Regierungsprogramms, fällt die Bewertung der Maßnahmen sehr unterschiedlich aus. Ein paar Beispiele sollen das belegen.

  • Der leichtere Zugang zum erhöhten Urlaubsanspruch wurde vereinbart. Neu im Arbeitsrecht ist auch die Entgeltfortzahlung im Krankenstand über das Ende des Dienstverhältnisses hinaus bei einvernehmlicher Auflösung. Die Konkurrenzklausel gilt hinkünftig nur noch für SpitzenverdienerInnen und auch die Rückforderungen der Weiterbildungskosten werden eingeschränkt. Eine konkrete positive Maßnahme für ArbeitnehmerInnen ist auch die Einführung der flächendeckenden betrieblichen Gesundheitsförderung.
  • Vage bleibt eine Verbesserung für den großen Bereich der Teilzeitbeschäftigung. So soll es ein Informationsrecht für Teilzeitbeschäftigte geben, wenn im Betrieb eine Stelle mit höherem Arbeitszeitausmaß ausgeschrieben wird. Das klingt an sich gut, diesem Recht fehlt allerdings der Anspruch auf Stundenaufstockung und auf Wechsel zwischen Voll- und Teilzeit, damit so ein Informationsrecht überhaupt Sinn macht.
  • Für Jugendliche sollen neue Anreizmodelle zur Teilnahme an Ausbildungsmaßnahmen geschaffen werden. Gekoppelt wird die Ausbildungsgarantie mit Ausbildungspflicht und einer Verwaltungsstrafe ähnlich der Strafe bei der Verletzung der Schulpflicht. Ob Bestrafung die richtige letzte Maßnahme für Jugendliche mit problembeladenen Lebensläufen ist, darf angezweifelt werden.
  • Ähnlich steht es um die Reform der bedarfsorientierten Mindestsicherung. Dass die Regierung sich dazu bekennt, sie zu verbessern, ist ganz wesentlich. So sollen Unterhalt, Nicht-Anrechnung von Familien– und Wohnbeihilfe, Rechtsansprüche auf Sonderbedarfe reformiert und vor allem in Bezug auf die Anwendung in den Bundesländern vereinheitlicht werden. Unklar bleibt, in welche Richtung diese Vereinheitlichung gehen soll. Die dringend notwendige Anhebung der Mindestsicherung fehlt zur Gänze. Offen bleibt auch, was in diesem Kapitel mit der Einführung von ‚Kontrollen und Sanktionen’ gemeint ist.
  • Bei den Pensionen konzentriert sich alles auf die Erhöhung des faktischen Antrittsalters. Mit allerlei Maßnahmen soll erreicht werden, dass der tatsächliche Pensionsantritt sich dem gesetzlichen Pensionsalter annähert. Die beschämend niedrigen Mindestpensionen – gerade bei Frauen -  werden nicht erhöht. Länger arbeiten an sich führt nämlich noch nicht zur wesentlich höheren Alterssicherung. Dafür müssten jene Maßnahmen der blau-schwarzen Regierung, die zu einer sukzessiven strukturellen Pensionssenkung führten, in den Fokus genommen werden. Darüber herrscht aber Stillschweigen. Das Kapitel zum Ausbau der eigenständigen Alterssicherung von Frauen erschöpft sich in der Frage der Verlagerung von Kindererziehungszeiten, Informationskampagnen über Pensionssplitting und der kostenneutralen Überarbeitung der Hinterbliebenenversorgung.
  • Politisch gefährlich klingt die Schaffung einer demokratisch nicht legitimierten Schlichtungskommission. Diese Kommission wird ermächtigt, verbindliche Vorschläge zu machen, wenn durch die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen nicht zur Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalter führen. Entscheidungen über die Zukunft des Pensionssystems in eine Schlichtungskommission auszulagern, deren Vorsitzende der Präsident des Fiskalrates (vormals Staatsschuldenausschuss) ist, muss demokratiepolitisch als schlechter Scherz interpretiert werden.
  • Das Thema der Arbeitslosigkeit benennt die Koalition in ihrem Arbeitspapier nur indirekt. Die Rekordarbeitslosigkeit in Österreich findet als solche im Regierungsprogramm keine Erwähnung und so auch nicht die Frage der Existenzsicherung für Arbeitslose. Also bleibt das Arbeitslosengeld weiterhin viel zu niedrig und weil das (oft niedrige) Einkommen des Lebensgefährten oder Ehepartners bei der Notstandshilfe weiterhin dazugerechnet wird, erhalten zehntausende Frauen diese Leistung für ihre finanzielle Eigenständigkeit nicht.
  • Angekündigt wird die Absicherung der Gewaltschutzzentren und Notwohnungen, der Frauen- und Mädchenberatungsstellen sowie der Frauengesundheitszentren. Sie sollen in allen Bundesländern ausgebaut werden.
  • Ein zusätzliches kostenfreies Kindergartenjahr hat ebenfalls Eingang gefunden in das Koalitionspapier. Die Zahnregulierung als Kassenleistung und die Abschaffung des Spitalkostenbeitrags für Kinder sind konkrete Pluspunkte im Regierungsübereinkommen.

Allerdings:

Sämtliche im Regierungsprogramm vorgesehenen Maßnahmen – sofern sie zu Mehrausgaben bzw. Mindereinnahmen führen bzw. in den Ausgabenobergrenzen des Bundesfinanzrahmens keine Deckung finden – stehen unter Finanzierungsvorbehalt. Das bedeutet, dass eine Umsetzung solcher Vorhaben nur dann erfolgen kann, wenn eine Bedeckung im Rahmen der dem jeweiligen Ressort zur Verfügung stehenden Budgets bzw. durch BHG-konforme Umschichtungen gegeben ist.’

Diese Zeilen aus dem Regierungsprogramm bedeuten, dass alle Vorhaben der Bundesregierung nur umgesetzt werden können, wenn sie mit dem Ziel des ausgeglichenen Budgets ab 2016 vereinbar sind. Das Erreichen des Nulldefizits ist für die Koalition unabdingbar. Dem wird alles untergeordnet. Auch wenn viele Ziele wenig ambitioniert formuliert und progressive Projekte bzw. Vorhaben in neuen Themenfelder wie der Netzpolitik im Arbeitsprogramm völlig fehlen, das Koalitionsübereinkommen ist sicher kein Wohlfahrtsstaatkürzungsprogramm und kein neoliberales Deregulierungsprojekt. Aber, und das ist entscheidend: die SPÖ setzt gemeinsam mit der ÖVP in den nächsten fünf Jahren vor allem auf Haushaltskonsolidierung und damit auch auf Ausgabenkürzung. Im Zentrum steht eine Politik, die auf Budgetziele während einer Wirtschaftskrise fokussiert, die öffentliche Ausgabensteigerungen nur mit Einsparungen finanziert und die das Signal der Lohnzurückhaltung bei den Staatsbediensteten aussendet.

Der Verzicht auf Vermögenssteuern ist darum nicht nur aus politstrategischen Gründen problematisch. Denn gemeinsam mit den unverändert niedrigen Gewinnsteuern und den nur bescheidenen Korrekturen bei der Gruppenbesteuerung verschließt die öffentliche Hand eine notwendige Einnahmequelle. Sie muss damit den Sozialstaat fast ausschließlich aus Beiträgen der unselbstständig Beschäftigten bzw. aus indirekten Massensteuern finanzieren. Die Vermögenden werden weiterhin einen deutlich zu geringen Beitrag für soziale Gerechtigkeit leisten.

Neben hoher Arbeitslosigkeit, dem hohen Niveau prekärer Beschäftigung, zunehmender Kinderarmut wächst mit Krisenausbruch, auch eine neue Dimension der Armutsbedrohung: immer mehr Menschen sind mehrfach armutsgefährdet. Es steigt die Zahl jener Menschen, die von mehreren sozialen Armutsproblemen betroffen sind. In vielen Bereichen brauchen wir dringend mehr Ressourcen, mehr Beschäftigte, bessere Löhne und höhere Budgets, um den Anforderungen eines Wohlfahrtstaates gerecht zu werden.

Wohlstand erhalten, sozialen Ausgleich sichern, in Wachstum investieren und stabile Finanzen“ – kündigt auch die SPÖ für die nächsten fünf Jahre an. Diesen Vorhaben stehen allerdings ziemliche Hürden im Weg. Die Schuldenbremse, der Fiskalpakt, mithin die regelgebundene Wirtschaftspolitik, der sich die Bundesregierung vor wenigen Jahren in großer Hektik und falsch verstandener Reaktion auf die Wallungen der Finanzmärkte verschrieben hat, verhindern antizyklisches Investieren im notwendig großem Umfang und erzwingen staatliche Ausgabenreduktion im Abschwung. Einnahmen von nennenswerter Größe, wie dies die Vermögenssteuern oder erhöhte Gewinnsteuern hätten sein können, wurden als Maßnahmen, wie erwähnt, ausgeschlossen. Damit wird aber auch die Grundlage brüchig, auf deren Ebene alte und neue Aufgaben der Bildungspolitik, der Netzpolitik, der Sozialpolitik, der Kulturpolitik oder der Geschlechterpolitik bewältigt werden können.

Das sozialdemokratische Regierungsteam will den Wohlfahrtsstaat erhalten, soziale Gerechtigkeit garantieren und Vollbeschäftigung erreichen. Sie hat sich aber schrittweise der wirtschaftspolitischen Instrumente entledigt, um diese Ziele glaubhaft erreichen zu können. Sozialdemokratische Politik braucht den Raster sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik – ohne ihn wird die ‚sozialdemokratische Handschrift’ unlesbar.

2 Kommentare

  1. Ich finde Maßnahmen für Frauen gut, vermisse aber Maßnahmen für Männer. Wenn ein Mann nach geschiedener Ehe auf der Straße steht, wenn ein Mann Alkohol oder Spielsuchtprobleme hat, wenn ein Mann Opfer verbaler oder physischer Gewalt wird, dann gibt es kaum entsprechenden Anlaufstellen. Kein Wunder, dass eine Partei immer mehr Zuspruch erhält, die sich um die “korrekten Verlierer-Männer” kümmert und Burschenbünde hat.
    eine linke partei, die nur Schulden auf Kosten der anderen und der nächsten macht, ist unwählbar. Neos ist die einzige zukunftsorientierte Alternative zur FPÖ

    • Das mit den Schulden ist ein “problematisches” Problem:

      Wenn der Staat heute eine Schule baut, sagen wir um 50 Mio. €, dann muss er das Geld nach Fertigstellung bezahlen, er macht also normalerweise Schulden dafür.

      Die Investition in diese Schule nutzt aber nicht nur allen, die gerade Kinder haben, sondern auch den nächsten Generationen, warum sollen die nicht mit bezahlen?

      Das gilt für die gesamte Infrastruktur, Geld für Bildung …….

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