Die Silvesternacht in Köln, in der massenhafte sexuelle Übergriffe auf Frauen verübt wurden, hat das Thema sexuelle Gewalt auch in Österreich erneut ins Zentrum der öffentlichen Debatte gerückt. Viele melden sich zu Wort und beziehen Stellung. Die breite Diskussion dazu ist wichtig und notwendig. Aber in den letzten Tagen nimmt die Debatte an manchen Stellen Formen an, wo wir uns fragen: Geht es eigentlich noch um die Frauen? Im Vordergrund stehen nun häufig Vorschläge zu Verschärfungen im Asylrecht und zur Beschleunigung von Abschiebungen. Weniger wird geredet über Opferhilfe, den Ausbau der Präventionsarbeit und Gewaltschutzeinrichtungen oder auch wie und wo sexistische Gesellschaftsstrukturen der Nährboden sexualisierter Gewalt sind. Aufgeladen wird die Diskussion von rassistische Botschaften – und diese fallen manchmal so heftig aus, dass mitunter Onlineforen unter Berichterstattungen geschlossen werden mussten.
Wenn Feministinnen und frauenpolitische Aktivistinnen sich gegen diese rassistische Behandlung des Themas stellen, wird ihnen schnell vorgeworfen, sie würden etwas kleinreden. Das Gegenteil ist der Fall: der Kampf gegen sexuelle Gewalt und gegen sexualisierte Gewalt in der Ehe und Partnerschaft begleiten die Frauenbewegung seit ihrer Entstehung. Der Kampf für einen effektiven Gewaltschutz, für Frauenhäuser und den Schutz der Selbstbestimmung stehen seit jeher ganz oben auf der Agenda. Feministinnen wissen deshalb, dass sexuelle Gewalt nicht mit Migranten ins Land ’eingewandert’ ist. Sexuelle Übergriffe, Belästigung und Vergewaltigungen passieren durch Ehemänner, Partner, im sozialen Umfeld, am Arbeitsplatz – und auch bei öffentlichen Veranstaltungen. Sexuelle Gewalt hat weniger mit dem Migrationsthema zu tun, aber viel mit Machtgefälle, gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen, Sexismus und dem Festhalten an Klischees von Männlichkeit und Stärke. Wer das auf die Ebene der Zuwanderung abschiebt, macht es sich zu einfach und/oder will das Thema für Rassismus instrumentalisieren.
Bedenklich ist auch, wenn der Wiener Polizeipräsident Pürstl im Interview mit der „Krone“ Frauen empfiehlt, nachts nicht ohne Begleitung unterwegs zu sein (und das danach halbherzig korrigiert). Er vermittelt das Bild, dass Frauen sich einschränken und anpassen sollten und beschneidet ihre Autonomie. Die Botschaft dieser Verhaltensregeln für Frauen ist letztlich, dass sie ja irgendwie auch selbst schuld seien, wenn sie ‚gefährliche Orte’ alleine betreten. Ob er sich je gefragt, wie solche Botschafte bei Frauen ankommen, die Übergriffe erlebt haben? Glatte Themenverfehlung wäre die höfliche Beschreibung dafür.
Wir brauchen keine Verhaltenskataloge für Frauen. Wir brauchen wirksamen Gewaltschutz. Frauenhäuser, Gewaltschutzzentren und Männerberatungen forden seit Jahren mehr Ressourcen für Präventions- und Täterarbeit, mehr Mittel für Ausbildung von interkultureller Kompetenz in der Beratungsarbeit. Dazu gehört auch der Ausbau von Schulungs- und Fortbildungsprogrammen in der Exekutive und in der Justiz. Das sind die Themen über die wir reden müssen. Die Forderungen liegen am Tisch. Der Staat ist mehr gefordert – nicht erst seit den Überfallen in Köln. Denn Frauenrechte können nur dann glaubhaft vermittelt werden, wenn wir alle sie auch ernstnehmen.
Dieser Kommentar erschien am 15.Jänner in der Kleinen Zeitung