Sonja Ablinger

170 Jahre sind nicht genug. Oder: wie man der Gleichstellung Beine machen oder ein Bein stellen kann.

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Vor wenigen Tagen  wurde der Gender Gap Report 2016 veröffentlicht. Wenn die Gleichstellung, so hieß es darin, in diesem Tempo weiter kriecht, wird sie erst in 170 Jahren erreicht sein. Das hätte ein Anlass sein können (oder könnte einer sein), um einen neuen Anlauf zu nehmen – auch für die Bundesregierung. Sich rasch zusammenzufinden und schauen, wie Österreich rascher Gleichberechtigung für Frauen umsetzen kann. Einen New Deal für Frauen schnüren zum Beispiel. Das hätte frau sich erwarten können. Weit gefehlt. Das Sozialministerium hat dazu eine echte Steilvorlage geliefert. Es hat gestern eine Gesetzesänderung zur Notstandshilfe in Begutachtung geschickt. Und zwar nicht eine,  die ihre frauendiskriminierende Wirkung endlich beendet, sondern eine, die möglicherweise noch mehr Frauen aus der Notstandshilfe rauswirft. Man will hierzulande auf die 170 Jahre noch ein paar Jahrzehnte drauflegen.

Zum Hintergrund

Die Notstandshilfe, eigentlich eine Versicherungsleistung aufgrund erbrachter Beiträge, wird als Mischung aus Versicherungs- und Wohlfahrtsleistung gehandhabt. Einerseits wird geprüft, ob entsprechende Versicherungszeiten erworben wurden, andererseits aber, ob eine „Notlage“ vorliegt. Bei der letzteren Prüfung wird das Einkommen des Partners oder der Partnerin – abzüglich eines Freibetrages – auf die grundsätzlich zustehende Notstandshilfe angerechnet.  Ist der Anrechnungsbetrag höher als der Notstandshilfeanspruch, erhält der/die Betroffene keine Notstandshilfe. Der Freibetrag beträgt im Jahr 2016 genau 642 Euro (wobei dieser Betrag mit zunehmendem Alter steigen kann) und für jedes unterhaltspflichtige Kind noch ein zusätzlicher Betrag angerechnet wird.

Bei der Notstandshilfe wird  – und das ist das besonders Fiese dabei -  das Partnereinkommen angerechnet – auch wenn der Partner der Lebensgefährte ist und die Frau keinen Unterhaltsanspruch geltend machen kann. Und diese Regelung zeigt seit Jahrzehnten ihre frauendiskriminierende Wirkung: Über 80 Prozent der Personen, denen die Notstandshilfe gestrichen wird, sind Frauen. Das hat zur Folge, dass in den betroffenen Haushalten nach dem Ende des Arbeitslosengeldbezuges ein Einkommen zur Gänze wegfällt. Dabei reicht oft schon ein Partnereinkommen von rund 1.200 € (netto), damit den Frauen die Notstandshilfe ersatzlos gestrichen wird  - und das obwohl sie jahrelang eingezahlt haben, – und das obwohl sie damit vom ‚goodwill’ des Lebensgefährten abhängig sind, ob er sie mitversorgt. Gesetzlich verpflichtet ist er nämlich nicht. Damit werden arbeitslose Frauen völlig  in die Abhängigkeit von ihren Lebensgefährten getrieben. Wenn er nicht will und ihr kein Geld gibt, schaut sie durch die Finger.

Anstatt diese frauendiskriminierende Wirkung abzuschaffen, will nun das Sozialministerium die Regelung noch ‚wasserdichter’ machen. Mit dem aktuellen Begutachtungsentwurf soll dem AMS eine ‚Haushaltsabfrage’ ermöglicht werden, damit „(verschwiegene oder bestrittene) Lebensgemeinschaften leichter überprüft und aufgedeckt werden können“, wie es in den Erläuterungen heißt. Soll ja keine Frau ihren Lebenspartner verschweigen – das offensichtlich ist die Absicht dahinter. Ob die Frau vom Lebenspartner tatsächlich unterstützt wird, und wie es sich leben lässt, wenn von einem Tag auf dem anderen rund 600 Euro gestrichen werden, scheint im Ministerium niemand zu interessieren.

Der Gender Gap Report stellte vor wenigen Tagen fest, Gleichstellung wird, wenn sie in diesem Tempo weiter kriecht, erst in 170 Jahren erreicht sein. Österreich ist entsprechend des Länderberichtes in den letzten drei Jahren (2013 – 2016) vom 19. auf den 52. (!!) Platz (von insgesamt 144 Länderplatzierungen) abgerutscht. Eine “dramatische Rückwärtsentwicklung” attestiert der Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums.

An solchen Gesetzesvorschlägen, kann frau studieren, warum die wirkliche Gleichstellung immer nur ein Versprechen bleibt: weil sie mit genau solchen Maßnahmen auf den Pannenstreifen abgestellt wird. Die weitaus sinnvollere politische Antwort – grade aus dem Sozialministerium – wäre nämlich, die Regelung zur Anrechnung des Partnereinkommens abzuschaffen. Die Kosten wären bewältigbar. Vor einigen Jahren wurden sie von AMS Experten auf 80 Millionen Euro geschätzt. Und: Durch eine Abschaffung der Anrechnung würden im Arbeitsmarktservice (AMS) Personalressourcen frei für Beratung und Betreuung. Die Abschaffung entspräche auch einer sozialversicherungsrechtlich Fairness: Die Notstandshilfe ist eine Versicherungsleistung! Aber so wie sie in der Auszahlung geregelt ist, kann man das eher damit vergleichen: du zahlst jahrelang deine Haushaltsversicherung. Dann hast du plötzlich einen Wasserschaden, auf den du eigentlich versichert bist. Die Versicherung lässt dich dann aber wissen, dass sie für den Schaden nicht aufkommen wird, weil dein Freund, der bei dir wohnt, ohnehin mehr als 1.200 Euro im Monat verdient.

Die Abschaffung wäre ein Schritt zur Stärkung der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von Frauen und eine Maßnahme zur Armutsbekämpfung bei Frauen. Die Abschaffung dieser frauendiskrimnierende Regelung wäre also eine mögliche Antwort, der Gleichstellung (standfeste) Beine zu machen….wenn man(n) will.

 

 

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